Südthüringer, 2012: Ein Kalb für die Koch-olympiade

Bis zu 700 Stunden Arbeit investieren die Nationalmannschaften der Köche für ihre Teilnahme an der Olympiade an diesem Wochenende in Erfurt. Das Schweizer Team holt sich den letzten Schliff in Suhl.

Suhl - Am Dienstag wird es ernst für Kilian Michlig und sein Team. Dann muss die SchweizerNationalmannschaft bei der Olympiade der Köche auf der Messe in Erfurt zu ihrem Wettbewerb antreten. Drei Gänge sind gefordert. Für 110 Gäste. Sechseinhalb Stunden haben die sechs Köche dafür Zeit. Michlig ist der Kapitän der Mannschaft. Es ist schon die vierte Olympiade für den 33-Jährigen aus dem Schweizer Kanton Wallis. Sechseinhalb Stunden, in die die Köche mehr als ein Jahr und bis zu 700 Stunden Vorbereitung investiert haben. Noch sitzt Michlig relativ entspannt in der Lobby des Suhler Ringberg-Hotels. Ein Stockwerk tiefer, im Keller des Hotels, schwitzen seine Kollegen derweil bei der Arbeit. Zum dritten Mal schon hat sich das Schweizer Nationalteam auf dem Ringberg einquartiert, um sich auf den Kochwettbewerb vorzubereiten. "Wir fühlen uns hier einfach gut aufgehoben und erleben eine Gastfreundschaft, wie ich sie mir in jedem Betrieb wünschen würde", sagt Michlig.

Fünf Tonnen Ausrüstung

Er ist selbst Hotelier, führt mit der Familie einen Betrieb mit Restaurant mit 16 Angestellten in Reckingen-Gluringen. Wenn er nicht gerade mit der Nationalmannschaft unterwegs ist. Und das ist er oft. Alle vier Jahre findet die Olympiade statt, dazwischen gibt es vier weitere Wettbewerbe für Spitzenköche. Michlig und sein Team gehören regelmäßig dazu. Auch in Erfurt rechnen sie sich durchaus Medaillenchancen aus.

Mit mehr als fünf Tonnen Ausrüstung sind sie in Suhl angereist. In der ehemaligen Patisserie des Hotels haben sie Quartier bezogen und quasi eine eigene Küche aufgebaut. Das Menü wird bis zuletzt geprobt. Und parallel laufen die Vorbereitungen für den zweiten Wettkampf, die kalte Küche. Was so einfach klingt, ist hohe Kunst. Kalte Platten sind gefordert. Fingerfood. Und natürlich Patisserie. Wahre Pralinen-Kunstwerke, die gerne mal zwei Meter in die Höhe ragen. Diese dürfen die Nationalmannschaften vorbereitet zum Messegelände bringen. "Da wird der Transport die größte Herausforderung", sagt Michlig. In der provisorischen Küche ist Teammitglied Mario Inderschmitten gerade dabei, Holundergelee auszustechen. Die kleinen Zylinder, die er so gewinnt, werden vorsichtig in gehackten Nüssen gewälzt und dann weiterverarbeitet. "Zu Pralinen", so viel verrät der 26-Jährige, der im Programmheft des Nationalteams als "Junger Künstler" vorgestellt wird. Darüber hinaus macht er ein großes Geheimnis daraus, wie die Kreationen am Ende aussehen werden. Auch das Menü bleibt bis zuletzt geheim. Erik Schröter, deutscher Export im Schweizer Nationalteam, klickt die Bilder auf seinem Notebook schnell zu, als die Journalisten die Kamera zücken. Nur eines steht fest: In der Vorspeise sind Fisch, Krustentiere oder Geflügel gefordert, in der Hauptspeise frisches Schlachtfleisch oder Wild. Beim Dessert haben die Teams freie Hand. "Wobei schon erwartet wird, dass alle Konsistenzen von gefroren bis cremig auf dem Teller sind", erklärt Michlig. Vor einem Jahr haben er und seine Mitstreiter damit begonnen, das Menü zu entwickeln. Die Schwierigkeit: Sie wissen nicht, welche der 110 Teller an die zehnköpfige Jury gehen. Und die Gerichte werden nicht zwingend in der strengen Reihenfolge Vorspeise, Hauptspeise, Dessert vom Service abgerufen. Von 17.30 Uhr bis 20 Uhr müssen die Teams alle drei Bestandteile des Menüs abrufbereit haben. Die übrigen 100 Portionen werden vom Publikum verköstigt. Messebesucher können Eintrittskarten erwerben, die das Menü einer bestimmten Nationalmannschaft enthalten.

Im Hauptgang wird es bei den Schweizern Kalb geben, so viel verrät Michlig schon jetzt. Aber nicht einfach nur Kalb. Das Tier wurde extra für die Olympiade geschlachtet. Bei einem bestimmten Bauer in der Schweiz wurde es zwar nicht extra für den Wettbewerb gezüchtet. "Aber wir haben darauf geachtet, dass er ein Tier zum passenden Zeitpunkt schlachtreif hat", sagt Michlig. Beim Fleisch verarbeiten die Schweizer ausschließlich Bio-Qualität, beim Gemüse sogar Demeter, die noch höhere Qualitätsstufe. "Regionalität", nennt Erik Schröter eines der wichtigsten Kriterien. Das geht so weit, dass der Deutsche, der zum Beispiel schon den G-8-Gipfel in Schwerin bekocht hat, für sein Restaurant in der Schweiz einen eigenen Garten angelegt hat. Auf 3000 Quadratmetern wird eigenes Gemüse gezüchtet.

Mit internationaler Küche wollen Michlig und sein Team die Jury überzeugen. Damit meint er keinesfalls Einheitsbrei. "Aber die Jury ist international besetzt, das muss man bedenken", sagt der Mannschaftskapitän. Perlhuhn scheidet da zu Beispiel aus auf dem Menü-Plan. "Denn in Europa ist es inzwischen Standard, Perlhuhn medium zu servieren, doch ein Asiate würde das keinesfalls essen", erklärt er. Und auch bei den Gewürzen müsse man den einen oder anderen Kompromiss eingehen.

Kochen hinter Glas

Regionalität wollen die Schweizer durch die einheimischen Produkte einbringen, die sie mit nach Thüringen gebracht haben. Aber alles muss im Rohzustand sein für den Wettkampftag. "Fleisch darf vom Knochen ausgelöst sein und Gemüse schon geschält, doch mehr können wir nicht vorbereiten." Gekocht wird in Einheitsküchen. Jedes Team hat die gleichen Bedingungen. Nur das Handwerkszeug, also Messer und Schneidebretter dürfen sie mitbringen. Natürlich haben sich die Schweizer vorher schlau gemacht, auf welchem Herd sie in Erfurt kochen müssen. Und sie haben auf baugleichen Herden trainiert. Um keine böse Überraschung zu erleben. Punkten wollen sie auch durch verschiedene Zubereitungstechniken. Erik Schröter zum Beispiel hat Stickstoff im Gepäck. Beim Begriff Molekularküche allerdings verdreht er die Augen. "Im Grunde verändern wir die Molekularstruktur immer, wenn wir kochen." Ihm geht es beim Einsatz des Trockeneises vielmehr darum, seinen Gästen neue Ess-Erlebnisse zu bereiten. Speisen mit einer knusprigen, weil schockgefrosteten Schale und einem weichen Kern zum Beispiel können so entstehen.

Am Dienstag soll dann das, was vor einem Jahr als Idee für ein Menü auf einem Stück Papier begann, im Idealfall zu einer Medaille führen. Doch das ist nicht der Hauptantrieb für die Schweizer. "Es geht darum, Trends zu erleben und nach Möglichkeit selbst welche zu setzen", sagt Michlig. Seine Leibspeisen sind übrigens Blut- und Leberwurst. "Am liebsten warm." Medaillen, das weiß der Schweizer, würde er damit beim Wettkampf in Erfurt aber vermutlich nicht gewinnen.

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